Bauhistorische Untersuchung des Alten Rathauses

Keine Stadt ohne Rathaus

Mit rund 800 Jahren gehört Zistersdorf zu den ältesten Städten Österreichs. Voraussetzung für die Verleihung des Stadtrechts waren im Mittelalter immer das Vorhandensein einer Stadtmauer. Zistersdorf wurde um 1250 als Planstadt mit Stadtmauer angelegt, die erste urkundliche Erwähnung der Stadt geht auf das Jahr 1284 zurück. 

Keine Stadt ohne Rathaus, so stand eines der ersten Rathäuser Zistersdorfs auf dem Kirchenplatz Nr. 12 (heute Frisör Busch). Baupläne für ein Nachfolgergebäude stammen aus dem Jahr 1706. Da in diesem Jahr aber der große Kuruzzenangriff stattfand und am Mauerwerk des Erdgeschoßes keine Brandspuren erkennbar sind, wird angenommen, dass mit dem Neubau an der heutigen Adresse Hauptstraße Nr. 35 erst nach dem Abzug der Kuruzzen begonnen wurde. 

Das erste Drittel des 18. Jahrhunderts gehörte zur Blütezeit des Barock, so ist davon auszugehen, dass die ursprüngliche Fassade ganz im Stile dessen erstrahlte. Ansichten aus dieser Zeit gibt es vom Alten Rathaus leider keine (die Fotografie wurde erst mehr als 100 Jahr später erfunden), aber da im Barock das Motto stets „klotzen statt kleckern“ war, handelte es sich vermutlich um ein durchaus repräsentatives Gebäude mit für den Stil typische Verzierungen und Ornamenten, wie Voluten, Kuppeln, Säulen und Figuren.

Mit Ratsbeschluss vom 22. Oktober 1705 wurde der Neubau des Rathauses beschlossen und die Durchführung legte man in die Hände des Zistersdorfer Maurermeisters Nikolaus Loeb.

Wenn Wände sprechen könnten

Aufgrund des beachtlichen Alters unseres Alten Rathauses und der kulturgeschichtlichen Bedeutung, steht die Fassade des Gebäudes bereits seit mehreren Jahrzehnten unter Denkmalschutz.

In Österreich erforscht, schützt und pflegt das Bundesdenkmalamt (kurz BDA) das materielle Kulturerbe Österreichs und vermittelt die gesellschaftliche Bedeutung dieser Aufgabe. Steht ein Gebäude unter Denkmalschutz, bedeutet das für den Besitzer, dass er keine Änderungen am Gebäude vornehmen darf, ohne die Genehmigung des Bundesdenkmalamtes. Auch geht mit diesem Schutzstatus selbstverständlich ein Abrissverbot einher.

Wird die Sanierung eines geschützten Gebäudes angedacht, wie im aktuellen Fall unseres Alten Rathauses, muss das Bundesdenkmalamt informiert und hinzugezogen werden. Gleichzeitig wurde auch eine bauhistorische Untersuchung in Auftrag gegeben, deren vorrangiges Ziel es war, herauszufinden, ob der Dachstuhl unseres Alten Rathauses noch aus der Erbauungszeit Anfang des 18. Jahrhunderts des Gebäudes stammt, oder jünger ist.

Durchgeführt wurde diese Untersuchung vom Unternehmen „Denkmalforscher“, das vom Bundesdenkmalamt damit beauftrag wurde. Die Archäologin und Historikern Mag. Doris Schön befasste sich über einen längeren Zeitraum eingehend mit der Geschichte und Substanz des Alten Rathauses und das Ergebnis dieser Untersuchung wurde der Stadtgemeinde in einem 43 Seiten umfassenden Bericht und einem 219 Seiten umfassenden Raumbuch präsentiert.

Für diese Ergebnisse wurde das Alte Rathaus vom Keller bis zum Dach genauestens mittels historischer Recherchen im Bauakt und in der Literatur sowie durch Sondagen in sämtlichen Mauerwerken und Aufbauten wissenschaftlich untersucht. Mit Hammer und Stemmeisen wurde an kleinen Stellen das Mauerwerk freigelegt. So lässt sich beispielsweise an Ecken herausfinden, ob Mauern miteinander verzahnt sind, sie also gleichzeitig errichtet wurden, oder ob eine Mauer bloß „angestellt“, weil später errichtet wurde. Auch die Struktur des Mauerwerkes – die Art, wie die Steine versetzt wurden – gibt Hinweise auf die Bauzeit.

Bauliche Veränderungen im Laufe der Zeit

Es kommt selten vor, dass historische Gebäude im Laufe der Zeit unangetastet bleiben. Bauliche Veränderungen passieren meistens aufgrund nötiger Erneuerungsmaßnahmen infolge von Zerstörungen oder wegen sich verändernder Anforderungen an ein Gebäude. 

Auch unser Altes Rathaus erfuhr immer wieder größere Veränderungen. 

Rund 150 Jahre lang bildete der Turm den östlichen Eckpunkt des Gebäudes. Die Vergrößerung des Gebäudes Richtung Wiedengasse erfolgte erst 1859, zum Gründungszeitpunkt der Sparkasse, die anschließend in den Räumlichkeiten des Alten Rathaus untergebracht war. Auch zum Turm selbst lieferte die Untersuchung spannende Ergebnisse: Der Turm war ursprünglich nicht so hoch, wie wir ihn heute kennen. Nach der Erneuerung des Daches, das offenbar im Jahre 1808 (da gab es eine große Brandkatastrophe in Zistersdorf, bei der 14 Menschen ums Leben kamen) abbrannte, wurde er um 4 Meter aufgezont, sprich erhöht. Noch heute erkennt man im Inneren des Daches die ursprünglichen Schallfenster des Turmes, die nach der Aufzonung zugemauert wurden. Der Turm erhielt eine neue Turmuhr, die der bürgerliche Uhrmachermeister Franz Konrad fertigte. Er setzte zusätzlich ein Zifferblatt auf der Seite zur Vorstadt ein, das offenbar vorher nicht bestanden hat. Für die Turmspitze erstellte der Schlossermeister Matthias Kunst kostenlos einen Doppeladler, der auch heute noch Zistersdorf überblickt. Im Turm selbst hing eine Glocke, die bei Brandgefahr geläutet werden musste und wahrscheinlich vom Vorgängerbau übernommen wurde. Sie soll 1770 vom Glockengießer Gauß in Wien gegossen worden sein. Später wurde sie auf die Friedhofskapelle transferiert und 1940 für Kriegszwecke eingeschmolzen. 

Die Fassade selbst ist heute nicht mehr barock. Sie wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts historisiert. Das bedeutet, dass sie im Stile des Historismus erneuert wurde. Typisch für diesen Stil sind Details wie die Eierstabfriese, die jeweils den Abschluss des Erd- und Obergeschosses bilden oder die reichen Verzierungen um die Fenster. Allerdings dürfte die Figur der Justitia, die römische Göttin der Gerechtigkeit, die sich in der Nische auf der linken Gebäudehälfte befindet, noch ein Originalrelikt aus dem Barock sein. Die Justitia-Figur und die Figur der Fortuna (römische Glücks- und Schicksalsgöttin), die den Turm flankieren, stammen wiederum aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 

Auch im Inneren gibt es, bis auf eine einzige barocke Tür im Obergeschoß, keine Elemente mehr aus der Erbauungszeit. Die Kehlheimer Platten, die sich ebenfalls im Obergeschoß befinden, stammen zwar vermutlich aus der Erbauungszeit, wurden aber im Laufe der Zeit neu verlegt. 

Im Zuge der Räumung der Gaststube im Erdgeschoß wurde eine Wand freigelegt, auf der noch eine auffällige Wandgestaltung erhalten ist. Sie wurde mittels Schabloniertechnik gestaltet und stammt vermutlich aus dem Jahr 1912, in der eine Neuausmalung der Gaststube erfolge.

Bei den erfolgten Freilegungen der Mauerwerke konnten sehr viele bauliche Veränderungen der Raumaufteilungen nachvollzogen werden und wann welcher Anbau erfolgte. 

Auch der Zugang zum Gasthaus von der Straßenseite aus, wie wir ihn heute kennen, besteht erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Auf vielen alten Fotos ist das Rathaus noch ohne diesen Eingang abgebildet. 

1906 errichtete man ein neues Rathaus (zerstört 1945) schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, an der selben Stelle an der sich das heutige Rathaus befindet. Das Alte Rathaus verlor somit seine Funktion. Das Gasthaus, das sich ohne Unterbrechung bereits seit 1711 im Gebäude befand, blieb allerdings bestehen. 

Kopie der  Zeichnung vom Turm des Alten Rathauses | „Maister Andre Träwitzers, Zimmermaisters alhier, Rathaus Thurn zu erbauen 1709“ | Das Original befindet sich im Stadtmuseum.

Fragmente aus dem späten Mittelalter

Auch wenn 300 Jahre bereits ein eindrucksvolles Alter für ein Gebäude sind – im Keller des Alten Rathauses wird es noch eindrucksvoller! Wer Zistersdorf kennt, weiß um seine (ursprünglich) ausgedehnten und weit verzweigten Kelleranlagen Bescheid. Auch unter dem Alten Rathaus befindet sich eine solche Anlage, die sich über mehrere Ebenen erstreckt. Dabei konnten bei den Sondierungsarbeiten Teile des Mauerwerks auf das späte Mittelalter datiert werden, also stammen Teile des Kellers bereits aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Dieser somit älteste Teil des Kellermauerwerks weist eine Rottönung der verwendeten Bruchsteine und des Setzungsmörtels auf. Eine Rottönung deutet immer auf einen Brand hin. In diesem Fall dürften die Brandspuren auf die Zerstörung der Osmanen im Jahr 1683 zurückgehen. Ein ebenfalls sehr spannender und gleichzeitig tragischer Teil der Zistersdorfer Stadtgeschichte!

Die bauhistorische Untersuchung lieferte eine Unmenge an spannenden Erkenntnissen was die bauliche Entwicklung bzw. die baulichen Veränderungen und verschiedenen Nutzungen im Laufe der rund 300-jährigen Geschichte des Alten Rathauses betrifft.

Den kompletten Bericht der bauhistorischen Untersuchung finden Sie hier.

Viele historische Aufnahmen vom Alten Rathaus finden Sie in der Topothek.



Text und Fotos: Karina Goldmann, Museumsverein Zistersdorf

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